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[schwarze milch der fruehe]
er hat sich wie sein Idol Ian Curtis, Sänger der Band Joy Division, 22-jährig erhängt

(Es geht um Miroslav Nahacz, dessen Roman Bombel gerade ins Deutsche übersetzt wurde.)


 
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[schwarze milch der fruehe]

den namen david foster wallace habe ich das erste mal gehört nachdem der mann mit diesem namen sich umgebracht hatte. selbstmord hat mich immer fasziniert. lange hing ich der idee an, dass es plausibel wäre sich ab einem gewissen alter umzubringen. dass menschsein gerade bedeutet, einzusehen, dass selber dahinvegetieren sich nicht lohnt. dass man vorher schluss machen sollte. ich glaube nietzsche - der gott meiner jugend - hat einen aphorismus oder zumindest einen satz darüber geschrieben. lange habe ich selbstmörder bewundert oder zumindest respektiert. cesare pavese, paul celan, ingeborg bachmann (wahrscheinlich), nick drake. aber seit einiger zeit bemitleide ich selbstmörder - vor allem diejenigen, die sich relativ jung umbringen - nur noch. depression hin oder her, sie sind im endeffekt doch nur loser. ich will nix mehr wissen von ihnen. ich glaube, es hat mit elliott smith angefangen. seltsamerweise koinzidierte sein harakiri damit, dass mich plötzlich seine musik, die ich vorher nicht richtig angehört hatte, berührt hat.


 
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[schwarze milch der fruehe]

sehr seltsam, wie sie alle auf dem littell herumschlagen im deutschen feuilleton. als wollten die sich die interpretationshoheit über die verbrechen unserer vorfahren nicht nehmen lassen. dieses immer alles besserwissen ist wirklich zum kotzen. auch die diskussion im berliner ensemble wird überall verrissen. dabei war sie auf französisch recht interessant. und littell hat sehr bedächtig und gut verständlich gesprochen. zwar nicht auf alle fragen geantwortet, aber doch keineswegs hauptsächlich geschwiegen. er brauchte etwas, um warmzuwerden. ein dolmetscher für zwei personen, die man in der übersetzung dann kaum noch auseinanderhalten kann, was ein witz. sehr dilettantische organisation. ziemlich langweilig cohn-bendit, seine stimme und sein akzent bzw. tonfall im französischen nicht sehr angenehm anzuhören. ihn hat das buch aber anscheinend beeindruckt. dass max aue keine reue zeigt in dem buch weil littell nazis so ein gefühl wie reue nicht zugesteht bzw. weil es kaum je einen nazi gegeben hat, der dieses gefühl gezeigt hat, ist extrem plausibel. wie noch so einiges andere.


 
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[schwarze milch der fruehe]

ich und er


Ich habe fast immer in der ersten Person geschrieben. Selbst der sehr schlechte Science-Fiction-Roman, den ich mit neunzehn geschrieben habe, ist in der ersten Person verfasst. Ich kann nicht anders schreiben. Das einzige Buch, das ich nicht in der ersten Person Singular geschrieben habe, ist in der ersten Person Plural verfasst, eine Art »wir« à la Genet, übrigens sehr ungeschickt verwendet. In der Tat war mir schon lange klar, dass das »ich« für mich wie ein »er« funktionierte, dass ich Angst vor dem »er« hatte, weil das »er« fast mehr »ich« als das »ich« war. Das »ich« erlaubte mir eine größere Distanzierung.

(Jonathan Littell in einem langen Interview mit Pierre Nora)

Wenn ich früher von mir schrieb, habe ich immer gerne in der dritten Person geschrieben, da klappt die Distanzierung von sich selbst. Upps, da hab ich es schon wieder gemacht. Wenn man natürlich über einen SS-Offizier in der ersten Person schreibt, dann distanziert man sich automatisch, denn man war es ja nicht. Dadurch gewinnt das Buch außerdem an Subjektivität. Da Henker im allgemeinen über ihre Taten außer Jammern und Verweisen darauf, dass sie nur ausgeführt haben, was ihnen aufgetragen wurde, nichts artikulieren, ist der Ich-Erzähler in Littell's fiktivem Bekenntnisbuch zweifach erfunden. Dass man Distanz braucht, um über dieses Thema zu schreiben, sieht man auch daran, dass die einzigen beiden Bücher hierüber nicht nur nicht von den Tätern sondern nicht mal von Deutschen verfasst wurden. Der Tod ist mein Beruf von Robert Merle, einem Franzosen, aus der Perspektive von Rudolf Höß, des Leiters des Vernichtungslagers von Auschwitz und jetzt Die Wohlgesinnten von einem Amerikaner.


 
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[schwarze milch der fruehe]
Dass sie sich freilich die Botschaft aus dem Menschengeschlecht auf ihre Art rasch aneignete, belegt eine Passage aus dem Schmerz, in der sie die in deutschen Konzentrationslagern verübten Verbrechen so kommentiert: »Die einzige Antwort, die sich auf diese Verbrechen geben lässt, ist die, daraus ein Verbrechen aller zu machen. Es zu teilen. Ebenso wie die Idee der Gleichheit, der Brüderlichkeit.«

[aus Peter Hamms Rezension der Hefte aus Kriegszeiten von Marguerite Duras in der Zeit]


 
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[schwarze milch der fruehe]
 
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[schwarze milch der fruehe]
Auf die Kranzschleife ließ ich »Nur Geduld« drucken. Dieser kryptische Imperativ bezog sich auf eine Passage im ›Doppelkopf‹, in der Jean Améry auf eine Frage von Schultz-Gerstein antwortet: »Mir hat neulich ein Student gesagt: Warum haben Sie dieses Buch über den Freitod geschrieben, und warum haben Sie sich eigentlich nicht umgebracht? Ich hab’ ihm dann gesagt: Nur Geduld.«

[Jörg Schröder in einem verstörenden Text von 2000 über den Journalisten Christian Schultz-Gerstein (und Augstein), der ein düsteres Licht auf die Atmosphäre im Kulturbetrieb und insbesondere beim ehemaligen einzigen deutschen Nachrichtenmagazin in den Achtzigern wirft. Es hört sich sehr überzeugend an, auch wenn ich bei Schröder ja manchmal - z.B. wenn es um den März Verlag oder Promis, die er kennengelernt hat, geht - das Gefühl habe, dass er sich ein bisschen wichtig tut, aber in diesem Fall kann ich es mir weder vorstellen noch würde es irgendeinen Sinn machen. Die unglaubliche Lebensgeschichte des Onkels von Schultz-Gerstein, dessen Namen er seinem ursprünglichen Namen angefügt hatte, kannte ich noch nicht.]


 
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[schwarze milch der fruehe]
Sie sind aus der Welt gefallen und sie werden auch nicht mehr in sie zurückkehren. (2. Halbsatz sinngemäß)

Andrea Strunk vorhin im Deutschlandfunk über die Eltern (und Angehörigen) der in Beslan getöteten Kinder, die hunderte verstümmelte Kinderkörper ansehen mussten, um ihre Kinder zu identifizieren. Andrea Strunk hat ein Buch über das Massaker geschrieben. Es heißt Beslan, Requiem.


 
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[schwarze milch der fruehe]

Ich lese gerade Robert Antelme: Das Menschengeschlecht


Bei folgender Passage musste ich an Edgar Allan Poe und Paul Auster denken. Wobei deren fiktive sich permanent verschlimmernden ausweglosen Horrorgeschichten von der Art und Weise wie sich die SS gewisser KZ-Häftlinge bedient, die sich im KZ durchschlagen, indem sie zu anderen Häftlingen noch unerbittlicher als die SS selber sind, bei weitem übertroffen wird:

Allein schon die Größe unseres Kommandos brachte einen engen und ständigen Kontakt zwischen den Häftlingen und dem leitenden SS-Apparat mit sich. Die Rolle der Mittelsleute blieb von vorneherein auf ein Minimum beschränkt. In Gandersheim war es so, daß der Apparat der Mittelsleute ausschließlich aus Kriminellen bestand. Wir waren etwa fünfhundert Mann und wir konnten dem Kontakt mit den SS-Leuten nicht ausweichen. Beaufsichtigt wurden wir nicht von politischen Häftlingen, sondern von Mördern, Dieben, Betrügern, Sadisten oder Schwarzmarkthändlern, die unter dem Oberbefehl der SS unsere direkten und absoluten Herren waren.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, daß der Kampf um die Macht zwischen den politischen Häftlingen und den Kriminellen nie die Form eines Kampfes um die Macht zwischen zwei aufbegehrenden Gruppen angenommen hat. Es war der Kampf zwischen Menschen, deren Ziel es war, eine Legalität zu errichten, soweit eine Legalität in einer planmäßig als Hölle angelegten Gesellschaft überhaupt möglich ist, und Menschen, deren Ziel es war, die Errichtung einer solchen Legalität um jeden Preis zu verhindern, weil sie sich nur in einer gesetzlosen Gesellschaft Vorteile verschaffen konnten. Unter ihnen konnte nur das nackte Gesetz der SS herrschen. Um zu leben und sogar gut zu leben mußten sie ganz einfach das Gesetz der SS verschärfen. In diesem Sinne haben sie die Rolle von Spitzeln und Aufwieglern gespielt. Hartnäckig und mit bemerkenswerter Logik haben sie unter uns jenen Zustand der Anarchie hervorgerufen und erhalten, den sie brauchten. Sie spielten das Spiel bestens und erwiesen sich damit in den Augen der SS nicht nur als etwas von uns völlig Verschiedenes, sondern auch als unentbehrliche Hilfskräfte, die es wirklich verdient hatten, gut zu leben. Einen Menschen auszuhungern, um ihn dann, wenn er Gemüseabfälle gestohlen hat, strafen zu können und sich dadurch von seiten der SS eine Belohnung zu verdienen, zum Beispiel eine zusätzliche Portion Suppe, was wiederum auf Kosten diese ausgehungerten Menschen geht, das war das Prinzip ihrer Taktik.


 
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