close your eyes
 
[music, albums]

Johann Sebastian Bach - Vier Klavierkonzerte


Eigentlich wollte ich ja was über David Fray, sein Klavierspiel, die Bremer Kammerphilharmonie und Johann Sebastian Bach schreiben. Den Film, den ich neulich auf Arte gesehen habe, gibt es jetzt augengerecht in fünf Teile zerschnipselt auf DuGlotze. Ein guter Einstieg ist Teil 2, da geht es um den 2. Satz des Cembalo-Konzerts in A-Dur, BWV 1052, ein Larghetto. Und der ist so abgrundtief traurig wie eine Aneinanderreihung von ein paar Noten nur sein kann. Es geht los mit dieser langsamen, tief hinunter gehenden Streicherbewegung. Man kann das Einatmen, zu dem David Fray die Musiker in der kurzen Pause in der Mitte der Bewegung aufgefordert hat, förmlich spüren. Anschließend spielt David Fray am Klavier das Motiv in seiner präzisen und pointierten Art. Erhaben und anmutig zugleich. Er tänzelt mit den Fingern über die Tasten. In Zeitlupe. Der Anschlag wird immer leiser und zerbrechlicher. Fray hält inne. Ich möchte Glenn Gould diesen Satz nicht spielen hören, der beraubt den mit seinen flinken Händen bestimmt seiner ganzen Würde. Gould hat für dieses Konzert 14 Minuten gebraucht, Fray 15. Piano piano ist das richtige Tempo hier. Ja doch ich kann es nicht anders sagen, gerade in dieser Verloren- und Verlassenheit, in dem Moment, wo alles Leben in der Musik abstirbt, da sind wir Gott ganz nah. Da muss man - wie ich - gar nicht mal an Gott glauben, um das zu fühlen.

Die anderen beiden Sätze sind beide Allegros. Alle vier Konzerte, von denen drei in Moll sind, bestehen übrigens aus drei Sätzen, einem Schnellen zum Einstieg, einem Langsamen in der Mitte und einem Schnellen zum Schluss. Die beiden äußeren Sätze des Konzerts in A-Dur sind profaner als der Mittelsatz. Sie sind von der Stimmung natürlich eher hell, auch deshalb weil das Konzert in Dur geschrieben ist. Der dritte Satz hat etwas von einem Tanz, ein bisschen steif am Anfang, sich aber dann lockernd und verspielter werdend. Der erste Satz hingegen strahlt diese für Bach so typische festliche Stimmung aus, die mich sehr an meine Jugend erinnert, vor allem an Sonntage und an die Vorweihnachtszeit, wo meine Eltern fast immer Barockmusikplatten auflegten. Ich habe die Musik niemals gehasst, es war mir allerdings manchmal etwas zu viel und es fehlte mir das Metaphysische, was ich dann später in den Wagnervorspielen fand. Seltsam, Bach war Harmonie und Maß in meinen Ohren, auch heile Welt, aus der ich ausbrechen wollte.

Bei David Fray hat mich in dem Film neben seinem gelegentlichen ekstatischen Gesang - das tut Jarrett allerdings auch - seine Mimik beeindruckt. Er schneidet Grimassen beim Spielen. Manchmal erscheint er zu Tode betrübt, so als würde er heulen, manchmal einfach nur unglaublich konzentriert. Er ist völlig besessen von der Musik. Während der Aufnahme des 3. Satzes des A-Dur-Konzerts - das sind natürlich ursprünglich keine Klavier- sondern Cembalokonzerte, denn zum einen gab es damals noch kein Klavier und zum andern sind sie oft zusammengestoppelt aus anderen Kompositionen - sagt Fray den Streichorchestermitgliedern sie sollten beim Spielen lachen, um den heiteren Ton des Satzes besser zu treffen. Und einer der Musiker, ich glaube es ist der Kontrabassist, fängt plötzlich auch an, Fratzen zu schneiden.

Ich muss noch etwas zu der CD von Virgin/EMI sagen. Der Klang scheint mir ok, die Dynamik ist da, es gibt sehr leise und sehr laute Stellen, insgesamt ist sie vielleicht die CD, bei der ich den Lautstärkeregler am Höchsten stellen muss, um auch die leisen Passagen zu hören. Das ist alles gut, die auf Rock-CDs heutzutage allgegenwärtige, unsägliche Kompression wurde hier nicht benutzt. Aber die Coverbilder sind eine Zumutung. Da wird David Fray präsentiert wie ein junger, geschniegelter Schlagersänger, wie eine Figur aus der Retorte. Ganz schlimm. Was ich auch nicht ganz verstehe, dass der Titel auf englisch sein muss. Ich kaufe auf einer deutschen Website eine CD mit der Musik eines deutschen Komponisten, die von einem deutschen Orchester und einem französischen Pianisten aufgeführt wird und dann steht da was von "Keyboard Concertos". Die von einem Englischsprachler geschriebenen Liner Notes sind bei dieser CD historisch nicht uninteressant, bei der ersten Fray-Einspielung hingegen, wo er Bach und Boulez gegenüberstellt, hat ein französischer Musikgelehrter einen derartig verquasten Schmus runtergeschrieben, dass man es kaum glauben möchte.

Noch ein kurzer Absatz zu den Tonarten. Während drei (alle auf der CD) von Bach's sieben Cembalokonzerten in Moll gesetzt sind, also knapp die Hälfte, ist dieser Anteil bei Mozart viel geringer. Von den 27 Klavierkonzerten sind 25 in Dur. Ein Zufall ist das bestimmt nicht.


 





 
last updated: 9/25/24, 10:42 PM
subscribers: 390
contact: alex63 at bigfoot dot com
40 years, 40 albums
why this is called close your eyes
some photos
status
Youre not logged in ... Login
menu
... home
... tags

... antville home
recent

XXVIII: 1998 Cat Power - Moon Pix


The other albums Most people voted for Massive Attack's Mezzanine in the poll. ...
by alex63 @ 9/25/24, 10:42 PM

Tom Liwa - Im Tal der nackten Männer (Lyrics)


Es war ein weiter Weg Den Kaiserberg runter bis zu dir Mit Sternen in ...
by alex63 @ 8/14/24, 5:16 PM
...
Hier geht es weiter. Schon mehr oder weniger seit über 10 Jahren...
by alex63 @ 12/8/21, 5:41 PM
...
Der Schachchamp hieß entweder Miguel oder evtl. Manuel. Es gab noch eine ...
by alex63 @ 2/23/21, 8:55 AM

mp3 blogs/rotation etc.


Update: The most useful site in this category is the mp3 blog ...
by alex63 @ 1/26/20, 12:23 PM
...
du hast recht, die angeblichen lifetime forward mailadressen von bigfoot wurden irgendwann ...
by alex63 @ 12/20/19, 11:23 PM
...
Weil es auch mit John Lennon zu tun hat, würde ich dir ...
by klagefall @ 12/20/19, 4:12 PM
...
Ich bin doch nicht der Einzige, der die Sun Bear Concerts für ...
by alex63 @ 11/25/19, 8:54 PM
December 2024
SunMonTueWedThuFriSat
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
293031
December

03/02 GIANT SAND, F, Brotfabrik............. .


they rock
music (EN)
---------------
aloof from inspiration
an aquarium drunkard
the art of noise NEW
aurgasm
the blue in the air
bradley's almanac
destination out
disquiet
dissensus
dj martian
egg city radio
eyes that can see in the dark
fingertips
i love music
an idiot's guide to dreaming
k-punk
largehearted boy
leonard's lair
misha4music
moistworks
motel de moka
musicophilia
one faint deluded smile
organissimo jazz forums
the perfumed garden
said the gramophone
silence is a rhythm too
stereogum
swens blog
utopian turtletop
vain, selfish & lazy
vinyl mine
warped reality
wordsandmusic

music (DE, FR)
--------------------
la blogothèque
euroranch
hinternet
machtdose
le musterkoffer musikstrom
satt.org: musik
schallplattenmann
die zeit - musik

other (EN)
---------------
josh blog
open chess diary
orbis quintus
the ringdahl family NEW
time4time
wood s lot

other (DE)
---------------
ahoi polloi
bahnchaos NEU
bloggold NEU
cargo NEU
chill
daily ivy
dichtheit und wahrung
einschicht
etc.pp.
filmtagebuch
goncourt's blog
herdentrieb
hotel mama
(i think) he was a journalist
jacks blog NEU
ligne claire
malorama
meine kleine stadt
mek wito
passantin
passe.par.tout
pêle-mêle dans ma tête
private collection
reisenotizen aus der realität
schachblätter
schachblog
der schachneurotiker
with or without words...
x.antville

blog bardo
---------------
the absintheur's journal
brain farts
buked & scorned
dd denkt laut
ja zu aa
the mystical beast
ohrzucker
sofa. rites de passage
sound of the suburbs
spoilt victorian child
three hundred bars
yo, ivanhoe


blogs arranged by birth date of their authors

RSS Feed

Made with Antville
powered by
Helma Object Publisher