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Für Omi Katlenburg, die dieses Jahr 100 geworden wäre


Neu-Isenburg, den 28.2.1998

Liebe Omi,

Du wirst es nicht glauben, aber das erste was mir einfällt, wenn ich an Dich denke, sind die Gerüche, die Dich umgaben. Es sind keine süßen Parfümdüfte, sondern sehr starke, durchdringende, aber nicht unangenehme Odeure. Zum einen natürlich der Zigarettenqualm, der ja immer etwas Heimeliges und Wohliges ausströmt. Dann der fast beißende, intensive Geruch von Heizöl, insbesondere dann, wenn Dein Heizöltank unten gerade mal wieder aufgefüllt worden war. Und zuletzt und für meine Nase am eindrücklichsten: Dein Körpergeruch, der herb und etwas stechend war; ich mochte ihn sehr, er war irgendwie "interessant".

Katlenburg war für uns Kinder ein verwunschener, fast märchenhafter Ort. So völlig anders als Moers, die Kleinstadt aus der wir in 3 1/2 Stunden im Auto angefahren kamen. Das war ein weiter Weg, wie eine Reise in eine andere Zeit und Welt. Da war der Hof von Stilles, der mir riesengroß erschien wie fast alles, was es dort gab. Alf, der Hund, auf dem man hätte reiten können. Der Mähdrescher und der Unimog, der mich als kleinen Jungen besonders faszinierte. Zum Klo bist Du, glaube ich, öfter geradelt, so weit wag war es auf der anderen Seite des Hofes. Dann war da hinter dem "Garten" der Fluß, heute würde ich wohl eher Bach sagen. Vor dem hatte ich einen Heidenrespekt, die Strömung war ziemlich stark und es hieß, es wären dort schon Kinder ertrunken.

Dann Deine Wohnung. Es ging eine steile, lange Treppe herauf. Im unteren Teil der Treppe gab es in der Wand eine Aussparung, in der Du Deine Marmelade und Eingemachtes aufbewahrtest. Da diese Aussparung zu hoch war, um mit den Händen hinzugelangen, stiegen wir Kinder auf Deine Hände und holten Dir die Marmeladengläser. Diese Teufelsleiter war immer ein großes Abenteuer für uns. Die Wohnung bestand aus drei Zimmern plus Küche. Der einzige Raum, der geheizt war, war das kleine Wohnzimmer, dort verbrachten wir die meiste Zeit.

Eine meiner ersten Erinnerungen überhaupt, die ich zeitlich einordnen kann, ist die Ermordung von Robert Kennedy. Es war Sommer, ich war noch keine fünf Jahre alt und saß alleine vor Deinem Fernseher. Ich sah die Ambulanz mit dem sterbenden Kennedy mit Tatü-Tata durch Los Angeles rasen.

Im Wohnzimmer hing Ende der Sechzigerjahre ein eingerahmter Brief - ich glaube von Anne - es war wohl ihr erster, da er von orthographischen und grammatikalischen Holprigkeiten strotzte. Im Wohnzimmer aßen wir auf schweren Zinntellern und mit Silberbesteck. Das gab der profanen Tätigkeit des Essens eine Aura des Ungewöhnlichen. Ein kulinarischer Höhepunkt war immer das Frühstück, da es Honigpops gab, die wir zuhause nie bekamen. Du standest auch sehr auf Süßes, am beeindruckendsten fand ich wie Du raffiniert Genuß und Abstinenz vereintest, wenn Du den Schnaps aus den Pralinen in den Ausguß schüttetest, um dann die Schokolade pur zu essen.

Wir spielten Räuberrommée, diese anarchistische Abart des langweiligen Rommées, die glaube ich Deinen Charakter recht gut zum Ausdruck brachte. Ich liebte Räuberrommée, da schnelle Reaktion und Auffassungsgabe gefragt waren; zu Ende eines Spiels, wenn der Tisch mit Karten vollgelegt war, ging es nicht immer mit rechten Dingen zu. Das war eine gute Schule fürs Leben, denn man mußte in Blitzesschnelle Entscheidungen treffen und konnte sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen. Ein anderes, seltsames Kartenspiel war Poch, allein schon wegen des runden Spielbretts mit den Mulden für die Bohnen. Schließlich brachtest Du mir auch einige Patiencen bei, insbesondere die Patiencen, die fast nie aufgehen, habe ich dann später oft alleine zuhause gelegt.

Dein Schlafzimmer war irgendwie ein Tabuort für uns. Es roch nach Dir und Deinen Kleidern und es war kalt. Wie auch in dem anderen Zimmer, wo wir unter dicken Plumeaus schliefen. Es war oft so eisig, (wahrscheinlich unter Null), daß wir normalerweise nicht ohne Wärmflasche ins Bett gingen, die dann am nächsten Tag fast gefroren war. Es kostete immense Überwindunskraft morgens aus dem warmen Bett zu kriechen, ich las oft noch (z.B. die Furybücher, Fury war dieses dunkelbraune, wilde Pferd) im Bett. Ich glaube aus der Zeit kommt meine Vorliebe für kühle und luftige Schlafzimmer.

Du hast zwei Weltkriege überlebt und das harte Leben als alleinstehende Mutter mit sechs Kindern hat Dich geprägt. Deswegen warst Du so resolut und bestimmend. Aber Du wußtest auch das Leben zu genießen, wie ich später in den "Himmelsbräuten" von Deiner Freundin Lise Gast nachlesen konnte. Du warst schon eine besondere Frau und ich bin stolz so eine Omi gehabt zu haben. Mit kleinen originellen Dingen wie z.B. Deinem Adventskalender konntest Du uns eine Freude bereiten. Für jeden Tag gab es ein kleines liebevoll eingepacktes Geschenk, eine kleine Seife, Zahnstocher, Tesafilm, etwas Süßes etc. und alles war auf einer Schnur aufgereiht. Die praktische Ader, die keinen unnötigen Schnickschnack duldet, hast Du mir glaube ich, ein bißchen vererbt, auch wenn ich manchmal so mit beiden Füßen auf der Erde stehen möchte wie Du.

Ich schäme mich heute noch ein bißchen dafür, daß ich bei Deiner Beerdigung nicht geweint habe, aber vielleicht liegt es daran, daß wir uns nicht so nah waren, ich hoffe Du verzeihst mir. Henner hat damals geflennt wie ein kleines Kind und ich habe mir eingeredet, daß ich ein schlechter Mensch bin. Das ist nun schon über zwanzig Jahre her, doch manchmal rieche ich Deinen so eigentümlichen Körpergeruch an mir und dann denke ich an Dich.

Dein Dich umarmender Alexander

(Als ich das gestern morgen in der Broschüre mit Erinnerungen zu Omis 90. wieder gelesen habe, hatte ich sofort Tränen in den Augen. Noch bevor ich gemerkt hatte, dass es von mir war. Und als ich es dann gestern abend beim Familienfest auf dem Rosenhof vorgetragen habe, da hatten auch andere feuchte Augen. Nochmal 1000 Dank für ein tolles Fest an Alice, Ernst, Stephan, Hazi und die vielen Helfer.)


 
 

Zum Unimog fällt mir da gerade ein, dass er mich zu einem meiner ersten Sätze inspiriert haben soll. Wenn ich ihn auf dem Hof vorbeifahren sah, dann sagte ich im Alter von ca. 3 Jahren angeblich, "Muni, issi Uni". Also in der umständlichen Erwachsenensprache "Mutter, da ist der Unimog."

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