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[music, concerts]

Tom Liwa in der Oetinger Villa, Darmstadt


Schon mein zweites Liwa-Konzert innerhalb von zehn Monaten. Am Samstag war es jedoch ganz anders als im Winter letzten Jahres als Liwa im Vorprogramm zu Low spielte, die er damals völlig maßlos und ganz unironisch als größte Band der Welt angekündigt hatte, wobei sie an dem Abend anfangs für zwei bis drei Lieder wirklich gigantisch waren.

Während Liwa mir damals ganz klein und schüchtern vorkam und seine Songs mehr zu sich selbst als zum teilweise quatschenden Publikum sang, hatte er diesmal eine Art Heimspiel. Zum einen spielte er in der sehr schönen, gediegenen Oetinger Villa, die in einem kleinen Park gelegen ist und in der er seit einiger Zeit, wenn immer er gerade in der Gegend ist (ca. einmal pro Jahr) auftritt. Gleich am Anfang sagte er, dass er die Villa kaum wiedererkennen würde im Vergleich zum letzten Mal. Es wäre alles so sauber und die Leute alle so ruhig und aufmerksam... Zum andern war Liwa hier der Topact und er trat wesentlich selbstbewusster auf als in Offenbach. Insgesamt spielte er ca. zwei Stunden und brachte viele interessante Zwischentexte mit Anekdoten wie der von der Harfinistin, deren Instrument nicht in den Tourbus passte.

Wobei ich einige von Liwas Statements lieber nicht gehört hätte, z.B. seine Ansicht, dass der 11.9. vor zwei Jahren das Werk des CIA war. Derartiges läuft bei mir unter krankhaftem Verfolgungswahn und Spinnertum. Obwohl ich zugeben muss, dass ich kurz nach den Angriffen Gedanken, die in die gleiche Richtung gingen, hatte. In der Zwischenzeit gab es aber keine neuen seriösen Indizien, die für eine inneramerikanische Verschwörung sprechen würden und die Idee als solche ist einfach zu monströs und widerstrebt meinem zugegeben durch Bush & Blair nur leicht angeschlagenen Urvertrauen in die westliche Zivilisation. Gegen Amerikanisches hat Liwa was, was auch seine Jagd auf Amerikanismen im Deutschen unterstrich. Amerikanische Musik hingegen ist für Liwa sehr wichtig, wobei die ihm neben dem Engländer Nick Drake teuersten Songwriter, Joni Mitchell und Neil Young zwar nicht aus den USA, sondern aus dem "besseren" Teil Nordamerikas, nämlich Kanada stammen, jedoch heute beide in Kalifornien wohnen (glaube ich jedenfalls).

Sehr gefallen an diesem Konzert hat mir die intime Atmosphäre, das fast schon andächtige recht junge Publikum (ca. 80 meist sitzende Studenten bzw. ehemalige), aber auch der hyperwache Liwa, der eine Diskussion zu einem Lied anfängt, nachdem vorher jemand nicht besonders laut "Lüge" gesagt hatte, als Liwa von der nicht in der Natur vorkommenden (dunkelblauen) Farbe der Straßenschilder gesungen hatte. Es stellt sich als ein Missverständnis raus. Die gelben Ortseingangsschilder sind eben keine Straßenschilder.

Liwa beendet das Konzert mit einem längeren Yoga-Kopfstand und fängt dann an seine CDs zu verkaufen. Und hier beginnt nun der unersprießliche Teil des Abends für mich.

Vorher ein Exkurs: Ich war mit der S-Bahn nach Darmstadt gekommen und hatte am Hbf feststellen müssen, dass die Oetinger Villa genau am anderen Ende von Darmstadt lag, mit flotten Schritten erreichte ich die Villa nach einer guten halben Stunde. Während des Konzerts, das kurz vor 10 angefangen hatte, zeichnete sich bereits ab, dass ich meine letzte S-Bahn kurz nach halb 12 verpassen würde. Ich nahm das jedoch in Kauf, da ich unbedingt mit Liwa sprechen wollte, um etwas rauszukriegen darüber, wie er zum (christlichen!?) Glauben gekommen ist.

Als er da im Halbdunkel so um die 10-12 verschiedene CDs vor sich ausbreitete und noch andere sich um ihn geschart hatten, fragte ich, ob er auch CDs seiner ehemaligen Band Flowerpornoes dabei hätte und er antwortete sofort schnippisch in dem Sinne, dass ich doch meine Augen aufmachen sollte, hier vor mir läge eine. Ich habe ... red' nicht von Straßen, nicht von Zügen von 1994 dann für 15 Euro gekauft (bei Amazon gerade für 6,66 € im Angebot und wirklich sehr empfehlenswert, besonders der erste Titel Herz aus Stein, den Liwa auch im Konzert spielte, ist wirklich ein Kleinod des Fingerpicking), war aber schon etwas irritiert, ob seiner Ungehaltenheit. Auch als ich nachfragte, warum er meinen absoluten Lieblingssong von ihm, Das Tal der Nackten Männer, eine langsam dahinfließende, wunderliche Odyssee durch seine Heimatstadt, das ach so profane Duisburg, nicht gespielt hatte, sagte er nur recht defensiv, dass diese Lokalballade die meisten Leute hier wenig interessieren würde und er sie live sowieso kaum spielen würde. Habe mich dann doch noch getraut, ihn zu fragen, ob er nachher an der Bar noch ein Bier mit mir trinken würde, was er sofort mit dem Satz "Ich trinke kein Bier" ausgeschlagen hat. Da war ich dann doch etwas baff, da ich mir ziemlich sicher war, dass Liwa kein Abstinenzler ist. Später sah ich ihn dann noch kurz an der Bar, aber er war beim besten Willen nicht dazu zu überreden, noch ein bisschen mit mir zu diskutieren. Somit hatte ich also meine S-Bahn verpasst und eine "lauschige" Spätseptembernacht am Darmstädter Hauptbahnhof vor mir und noch nicht mal die einzige "Mission", die ich mir für diesen Abend vorgenommen hatte, erfüllt.

Vorhin beim Nachdenken über dieses Nichtzusammentreffen kam mir, dass Liwas Unfreundlichkeit mir gegenüber vielleicht daran gelegen haben mag, dass ich als einer der einzigen während quasi des gesamten Konzerts stand. Und zwar am Tresen, ihm direkt gerade gegenüber, ca. 10 m weit weg, permanent an einer Pulle Pils nippend und an einer Lucky Strike genüsslich ziehend und Rauchschwaden erzeugend. Vielleicht war er ja gerade mal auf einem Enthaltsamkeitstrip und ich widerte ihn einfach nur an. Wer weiß. Irgendwie war das schon ein ziemlich frustrierender Abend.


 





 
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