close your eyes
 
[music, concerts]

Tom Liwa im Bett jenseits des Mainstroms


Als wir so kurz nach 9 im Bett in Sachsenhausen eintrudelten, war das Bett schon so voll, dass ich mal wieder stehen musste. Es scheinen wohl doch mehr Leute mein Weblog zu lesen als ich gedacht hatte ;-)

Dazu muss man sagen, dass das Bett so ca. 60 Sitzplätze bietet und eine Gesamtkapazität von maximal 80, für einen der interessantesten Songwriter deutscher Zunge etwas wenig zumal Frankfurt ja nicht gerade Kleinkleckersdorf ist.

Die Atmosphäre war somit sehr intim. Tom kam sehr relaxed mit zerzausten Haaren barfuß die Treppe runter im ausgeleierten ärmellosen schwarzen Shirt und in einer verblassten olivgrünen Baumwollhose. So als käme er gerade aus dem Bett. Bei Tom Liwa habe ich ja bei jedem neuen Konzert das Gefühl, dass er noch ein Stückchen mehr bei sich ist. Ich will nicht sagen, dass das bei mir als Zuschauer umgekehrt ist, aber die Differenz wird jedes Mal größer, das ist sicher. Tom's Bühnenpräsenz ist so stark, dass man völlig vergisst, dass da ein Fremder auf den Brettern steht. Mit seinen kleinen privaten Geschichten, die die Songs einleiten, schafft er eine familiäre Stimmung wie kaum ein anderer. Mir fällt da gerade nur Lou Reed auf der Take No Prisoners Liveplatte ein. Wobei Liwa ziemlich genau zu wissen scheint was er da erzählt während das bei Lou Reed doch sehr spontan und impulsiv klang.

Ziemlich am Anfang bekennt Tom, dass er in letzter Zeit sehr viele Lieder geschrieben hat - da fällt mir ein, er sagt immer Songs, obwohl er doch so ein Verächter von Anglizismen ist - und dass wir uns auf einen Abend mit neuem ungewohnten Material einrichten können. Der Kreativitätskick scheint im Zusammenhang mit der Reunion der Flowerpornoes zu stehen, die im Frühjahr bei einer ziemlich großen Plattenfirma eine neue Scheibe herausbringen werden. Anschließend schlug er den Bogen von neu zu alt sehr gekonnt. Mindestens vier Songs des Abends waren von ... red' nicht von Straßen, nicht von Zügen, dem tollen Longplayer der Pornoes von 1994. Da konnte natürlich Kamera nicht fehlen, das Lied, das mit der dem genus loci verhafteten Zeile

Alles was ich wollte war in dein Bett

aufhört. Herz aus Stein mit dem Zeilenpaar, das mir jedes Mal Schauer über den Rücken jagt:
Und die letzten Worte meiner Mutter, bevor sie starb waren: ich möchte nochmal schwimmen im offenen Meer

wurde am Ende um ein kleines nicht ganz unwichtiges Substantiv ergänzt:
Doch es ist völlig unmöglich der Liebe zu entkommen

Was heißt Flowerpornoes? hatte Liwas achtjährige Tochter ihn gefragt. Seine Antwort war Filme von Blumen, die Liebe machen. Oder sind es Filme von Blümchensex? Wobei eigentlich ist das ja nicht ganz richtig. Pornoes gibts nur in der Welt von Tom Liwa.

Mit den neuen Songs hatte ich so meine Schwierigkeiten. Teilweise am Rande des Schlagerkitschs mit banalen Lyrics, teilweise sehr naiv (Der Bär) in einem kindlichen Stil. Etwas à la Karneval der Tiere. Zu Bär fällt mir ein, dass Liwa diesmal im Stehen spielte. Und dabei leicht mit den Füßen tänzelte. Mit seiner zotteligen dunklen Haarpracht gab er einen lauschigen Meister Petz ab. Das Lied über Drachen und Fabelwesen klickte schon eher bei mir, leider klappte es mit den Zwischenrufen des Publikums - auch bei mir - nicht so gut. Obwohl Hui, Heh, Hi etc. sehr gut in den Zusammenhang passten. Schade, dass ich den Text kaum mitbekommen habe.

Und dann ein Lied über eine Art von positiver Drogenerfahrung. Da habe ich ja immer drauf gewartet, das schwebte ja so im Raum. Einmal bei einer Party Anfang der 90er hatte er einen Trip geschmissen und wollte nun unbedingt Auto fahren. War aber noch so beisammen, dass er wusste, dass es keine gute Idee war. Setzte sich in seinen grünen Automatikgolf und drehte eine gaaanz langsame Runde im Hof. Und dann noch eine. Usw. Drei Stunden lang.

Auch schön der Coversong. Cannonball von Damien Rice. Mit der göttlichen Zeile

There’s still a little bit of your face I haven't kissed

Genossen habe ich das Gitarrestimmen. Dabei musste ich immer an Joni Mitchell auf der Liveplatte Miles of Aisles denken - ich glaube, Tom versuchte sich auch an einer Akkordfolge von ihr - "here is a little yin-yang for you folks" o.s.ä.

Als Rausschmeißer (mann wie heißt das nochmal in der Kirchenmusik?) fungierte ein Liedchen, wo Tom nur noch "Quack, Quack, Quack" sang. Fand ich etwas peinlich, erfüllte aber seinen Zweck.


 





 
last updated: 9/25/24, 10:42 PM
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